10. Januar 2015

Wer bedroht die Demokratie?

Die großen deutschen Zeitungsverleger haben einen Aufruf veröffentlicht: Sie wollen sich nicht länger als »Lügenpresse« beschimpfen lassen. Offenbar halten sie es für eine gute Idee, im Windschatten der allgemeinen Verurteilung des Pariser Attentats auf das Satiremagazin Charlie Hebdo ein bisschen Trittbrett zu fahren.
»Das Attentat auf ›Charlie Hebdo‹ ist ein Angriff auf unsere Demokratie, unsere Presse- und Meinungsfreiheit. Wir müssen sie stets aufs Neue verteidigen, auch gegen (...) den üblen Vorwurf der ›Lügenpresse‹«, heißt es in dem von der FAZ und zahlreichen anderen Blättern veröffentlichten Artikel des Päsidenten des Bundes Deutscher Zeitungsverleger, Helmut Heinen.

Zehn große Verlage kontrollieren fast 60 Prozent des deutschen Tageszeitungsmarktes. Verglichen mit der Situation im Fernsehsektor ist das fast noch liberal: Dort teilen die Öffentlich-rechtlichen ARD und ZDF mit den beiden privaten Konzernen RTL Group und ProSieben.Sat1 den Markt unter sich auf.
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Jeder nicht komplett durchgeknallte und halbwegs anständige Mensch ist von der Wahnsinnstat in Paris angewidert – und ich will nicht in Zweifel ziehen, das das bei den Spitzenfunktionären des BDZV genau so ist. Problematisch an Heinens Text ist aber das darin zum Ausdruck kommende, von Selbstbeweihräucherung bestimmte Bild, das unsere großen Zeitungsverleger von sich haben. Offenkundig sehen sie sich selbst als die Verteidiger der »Grundlagen und Werte einer offenen Gesellschaft« schlechthin, als letzte Vorkämpfer für die »Pluralität der Meinungen und der Freiheit, sie zu äußern«.

Es mag nur eine Kleinigkeit sein, aber wie es konkret aussieht, wenn deutsche Medienmogule für die Meinungsvielfalt kämpfen, können die Leser von Heinens Kölnischer Rundschau seit einem Dreivierteljahr rund um Köln beobachten. Im Juni 2014 fanden sie in den Lokalteilen von Kölner Stadt-Anzeiger und Kölnischer Rundschau plötzlich identische Beiträge, ein immer ähnlicher werdendes Layout, gleiche Themenauswahl, wiederkehrende Überschriften und eine nahezu gleichartige Bebilderung. Der Grund: Die beiden vermeintlich konkurrierenden Regionalzeitungen hatten über hundert Lokalredakteure in eine gemeinsame »Rheinische Redaktionsgemeinschaft GmbH« ausgelagert. Das ist nur logisch, denn seit 1999 gehören die beiden Zeitungen ohnehin demselben Verlag (DuMont Schauberg). Die eine ist ein bisschen mehr mitte-links, die andere mehr mitte-rechts. Meinungsvielfalt in der offenen Gesellschaft, wie man sie sich beim BDZV eben so vorstellt.

»Presse- und Meinungsfreiheit sind unteilbar«, schreibt Heinen weiter. Formal juristisch ist das richtig: Der outgesourcte Journalist von DuMonts Tarifflucht-GmbH, der Zusteller, der nur einen gesetzlichen »Mindestlohn light« bekommt und der Leser, der sich zwischen zwei Regionalblättern desselben Verlags oder gar keiner Zeitung entscheiden kann: »Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten«, wie es im Artikel Fünf Grundgesetz heißt. Das Problem ist nur, dass nicht jeder den gleichen Zugang zu medialen Ressourcen hat wie, sagen wir, Heinen, dem neben der Kölnischen Rundschau die Bonner Rundschau und 35 Prozent am Berliner Verlag (Berliner Zeitung, Kurier, Abandblatt, TIP, Druckereien und Zustellbetriebe) gehören.

Der BDZV ist kein gemeinnütziger Verein zur Verteidigung von Presse- und Meinungsvielfalt, sondern ein Arbeitgeberverband, der mit harten Bandagen für seine wirtschaftlichen Ziele kämpft. Fünf große Verlagsgruppen, die 44,4 Prozent des deutschen Zeitungsmarktes beherrschen, geben in ihm (und im deutschen Blätterwald) den Ton an: Axel Springer, Südwestdeutsche Medienholding, Funke-Gruppe, DuMont Schauberg und Madsack. Zusammen mit fünf weiteren Großverlagen der Top-10-Liste – darunter FAZ, Holtzbrinck und Berliner Verlagsgruppe – haben sie einen Marktanteil von 59,1 Prozent (Quelle: Media-Perspektiven-Studie der ARD). Noch nie war die Konzentration bei Tageszeitungen in Deutschland so hoch wie heute, ist das Ergebnis einer 2014 veröffentlichten Studie des Dortmunder Medienforschungsinstituts FORMATT.

Die Großverleger wären gut beraten, ihre eigene Vormachtstellung auf dem Kampfplatz um die öffentliche Meinung wenigstens einzuräumen und zu problematisieren, wenn sie sich nicht völlig unglaubwürdig machen wollen. Offensichtlich ist das zu viel verlangt. Natürlich ist die Bezeichnung »Lügenpresse« ein polemischer Kampfbegriff und trifft gewiss nicht auf jedes ihrer Druckerzeugnisse und schon gar nicht auf jeden publizierten Artikel zu. FAZ, Süddeutsche, Berliner Zeitung, Kölner Stadtanzeiger und viele viele andere liefern Tag für Tag auch ehrlichen, interessanten und aufklärerischen Journalismus. Davon, eine »vierte Gewalt« zu sein, die den Mächtigen in Staat und Wirtschaft kritisch auf die Finger schaut, ist der deutsche Medienbetrieb jedoch Lichtjahre entfernt. Im Gegenteil: In allen entscheidenden politischen Fragen der letzten Jahrzehnte haben sich die Großen der Branche ganz überwiegend und selbstverständlich auf die Seite der ohnehin tonangebenden politischen und wirtschaftlichen Eliten geschlagen. Das ist auch nicht verwunderlich, denn sie (die Verleger, nicht die outgesourcten Journalisten) sind selbst Teil dieses Milieus und herrschenden Blocks. In einer Situation, wo sich die Kluft zwischen der Lebensrealität der »Entscheider« in Politik und Wirtschaft und drei Vierteln der Bevölkerung dramatisch vertieft, ist es nicht verwunderlich, dass sie sich damit den - nicht sehr schmeichelhaften - Ruf der »Lügenpresse« erworben haben.

Wenn Heinen dagegen hält, es handele sich dabei um einen »Kampfbegriff aus Deutschlands dunkelster Vergangenheit«, ist das nicht nur ziemlich durchsichtig, sondern auch historisch falsch. Nicht die Nazis haben das böse Wort von der »Lügenpresse« erfunden. Tatsächlich geht es auf das mehrbändige, zwischen 1914 bis 1916 erschienene Werk »Der Lügenfeldzug unserer Feinde : eine Gegenüberstellung deutscher, englischer, französischer und russischer Nachrichten« von Reinhold Anton zurück. Anton war ein Verfechter der Großmachtpolitik des Wilhelminischen Kaiserreichs – bei der »Lügenpresse« handelt es sich also im wahrsten Sinne des Wortes um einen imperialistischen Propagandabegriff. Die aufstebenden Nationalsozialisten der 20er Jahre sprachen nie schlechthin von »Lügenpresse«, sondern ausdrücklich von »jüdisch marxistischer Lügenpresse« - womit sie den KPD-nahen Münzenberg-Konzern (die zweitgrößte Medienholding der Weimarer Republik), sozialdemokratische Blätter wie die Leipziger Volkszeitung und unabhängige linke Publikationen wie Ossietzkys Weltbühne meinten.

Denn die Mainstream-Presse der Weimarer Republik sympathisierte mit den Nazis oder jedenfalls mit ihren politischen Zielen: Antisemitismus, Feindschaft gegen die Arbeiterbewegung und Verachtung für Demokratie und Republik.  Deshalb wären Hitler, Goebbels und Konsorten auch nie auf die Idee gekommen, den größte Medienkonzern dieser Zeit – die Hugenberg-Gruppe – als »Lügenpresse« zu beschimpfen. Alfred Hugenberg, der damals praktisch die Hälfte des deutschen Zeitungsmarktes beherrschte, war nicht nur ein mächtiger Montan- und Rüstungsindustrieller, sondern auch ein aggressiver Antisemit, Linkenhasser und Nationalist. Er war der erste deutsche Unternehmer, der begriff, dass die Zukunft der Medien im kapitalistischen Großkonzern lag. Hugenberg gilt als bedeutendster bürgerlicher Wegbereiter des Nationalsozialismus: »Durch die Propaganda seiner Blätter wurde Hitler überhaupt erst hoffähig; wo die Journalisten säten, brauchten die Nationalsozialisten nur noch zu ernten«, schrieb der Historiker und Zeit-Redakteur Karl-Heinz Janßen.

War das dem unglücklichen Umstand geschuldet, dass an der Spitze des größten Medienkonzerns der ersten deutschen Republik ein Reaktionär stand? Und war es »Zufall«, dass die Konzernpresse der 20er Jahre von der Rechten kontrolliert wurde – und nicht von der Linken oder der liberalen, demokratischen Mitte? Oder ist die Konzentration von Massenmedien in den Händen einer kleinen und überaus mächtigen gesellschaftlichen Minderheit vielleicht die eigentliche Bedrohung der Demokratie?