21. November 2014

Die beste der Welten

Ich lebe nun schon mehr als die Hälfte meines Lebens im Westen, aber die Borniertheit dieser "besten der Welten" verblüfft mich immer noch und immer aufs Neue. Der Westen ist einfach unfähig, irgendetwas zu verstehen. Im aktuellen Spiegel eine - über weite Strecken gelungene - Titelgeschichte über junge Muslime aus Deutschland, die sich dem IS anschließen. Die Reporter versuchen, Antworten auf die Frage nach dem Warum aufzuspüren, und sie machen ihren Job vorbildlich, recherchieren, gehen in Gerichtssäle, sprechen mit Eltern, Freunden, Experten, besuchen Moscheen, Teestuben, Vereine - was man als Reporter so macht.
Und dann heißt es, die jungen Männer kämen "aus einer Welt, in der Krieg und Religion aus dem politischen Selbstverständnis verbannt sind. Der 70-jährige Frieden, der in Westeuropa herrscht, hat kriegerische Gewalt tabuisiert ..." Was mich daran verblüfft, ist die Selbstverständlichkeit, mit der Westen (Ist Der Spiegel "der Westen"? Ja.) hier über seine eigenen kriegerischen Handlungen (nicht zuletzt in der muslimischen Welt) hinweggeht, als hätte das nichts mit dem Thema zu tun. Und bleiben wir bei Deutschland: 15 Jahre nach den Luftangriffen auf Jugoslawien, fünf Jahre nach dem fahrlässigen Bombardement bei Kundus sehen wir uns selbst als eine Gesellschaft, die "kriegerische Gewalt tabuisiert" hat? Das ist interessant.

Die BRD ist unfähig, die DDR zu verstehen, Westdeutschland ist unfähig, Ostdeutschland zu verstehen, Obama, Merkel, Spiegel, ARD und ZDF sind unfähig, Russland zu verstehen. Sie sind unfähig, Putin zu verstehen, und darauf sind sie auch noch stolz. Der Westen ist unfähig, irgendetwas zu verstehen. Alles Fremde ist für ihn nur eine Gelegenheit zur Selbstbeweihräucherung, und gute Gelegenheiten darf man nicht verstreichen lassen. Es ist klar, wohin das führen muss. Das ist schade, denn vielleicht ist der Westen tatsächlich die beste der Welten.