28. September 2011

Mit harten Bandagen

Brandenburg: Frankiermaschinenhersteller FP entläßt 111 Mitarbeiter und blockiert Sozialplan. IG Metall protestiert, Wirtschaftsminister legt Förderantrag auf Eis 

Von Jörn Boewe, junge Welt, 29. Sept. 2011

Birkenwerder liegt drei Kilometer nordwestlich von Berlin, zwischen Mühlenbecker Land und Havel. 20er-Jahre-Bauhaus-Charme, 90er-Jahre-Vorort-Tristesse. Es gibt eine Gemeindebibliothek in der Villa der KPD-Mitbegründerin und Reichstagsalterspräsidentin Clara Zetkin und Wohnparks mit glasierten Ziegeln, bonbonfarben. Dazwischen, als Hoffnungsschimmer aus der Vergangenheit, eine Erich-Mühsam-Straße.

Wirtschaft im engeren Sinn findet hier kaum statt. Aber seit ein paar Jahren wird mit harten Bandagen gekämpft. Francotyp Postalia (FP), Deutschlands führender Frankiermaschinenhersteller, produziert hier mit 380 Leuten. Produzierte, muß man sagen. Denn 111 Beschäftigte, darunter sämtliche Produktionsarbeiter, erhielten Ende August ihre Kündigung. 160 Kilometer weiter Richtung Hamburg, in Wittenberge, wird die Fertigung neu aufgebaut. Einziger Grund: Tarifflucht. FP will die Löhne um bis zu 40 Prozent absenken und den Leiharbeitereinsatz um 40 Prozent erhöhen.
Rote Fahnen sieht man seit ein paar Jahren in Birkenwerder eher selten, aber an diesem Mittwoch ist das anders. Ein Pulk Arbeiter hat sich vor dem Werkstor von FP im Gewerbegebiet am Triftweg versammelt. Die IG-Metall-Sekretärin Stefanie Jahn steht auf einem Lkw und hält eine Rede. Der Geschäftsführer, ein Hans Szymanski, habe angeboten, alle Gekündigten in eine Transfergesellschaft zu überführen. Nur ihre Kündigungsschutzklagen müßten sie zurückziehen. Nun ja, und finanziert werden müßte die Gesellschaft aus dem Abfindungsfonds. »Ich habe auf dieses Angebot nicht mal geantwortet«, sagt Jahn unter dem Beifall der Beschäftigten.

Vielleicht ein Drittel der Belegschaft ist heute vor das Tor gekommen, sogar ein paar der rund 40 Leiharbeiter sind darunter. Verwaltungsangestellte sieht man kaum. »Die haben einfach Schiß«, sagt jemand. Für ihren Bereich stricken »Szymanski und sein Troß« schon die nächsten Entlassungspläne, munkelt man.

Als nächster redet einer, der Szymanski gut kennt. Werner Dreibus, der Bundesgeschäftsführer der Partei Die Linke, klettert auf die Ladefläche und geht ans Mikrofon. Als Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Offenbach saß er mit ihm vor ein paar Jahren am Verhandlungstisch, als es um die Arbeitsplätze der früheren Siemens-Tochter Dematic ging, die 2006 an einen Finanzinvestor verkauft worden war. Dann kam Szymanski und legte los: Tarifvertrag gekündigt, Entlassungen, radikales Sparprogramm. »Szymanski ist jemand, der kennt noch nicht mal eure Namen«, sagt Dreibus, »für den seid ihr nur eine Ziffer in der Bilanz. Ein skrupelloser Trickser und Täuscher, der für sich persönlich viel abkassiert hat, aber für das Unternehmen, für das er tätig war, nichts gebracht hat, im Gegenteil.« Dreibus redet laut, und wenn er könnte, würde er jetzt den Lautsprecher noch ein Stück in Richtung Chefetage drehen. Nachdem Szymanski in Offenbach »ein Jahr lang sein Unwesen getrieben« habe, sei er »von seiner Heuschrecke als offensichtlich untauglich rausgeschmissen« worden.

»Täuscher und Trickser«, das sind harte Worte, selbst auf einer IG-Metall-Kundgebung. Aber sie kommen nicht von ungefähr. Ende August kam ein Sozialplan für die Beschäftigten zustande. Nicht auf dem Verhandlungsweg, sondern durch den Schiedsspruch einer Einigungsstelle. Doch 7,5 Millionen Euro Abfindungsvolumen waren FP zuviel. Das Unternehmen focht den Spruch vor dem Arbeitsgericht Neuruppin an. Die Erfolgsaussicht für FP ist nicht groß – auch vor dem Hintergrund, daß der Einigungsstelle ein Richter des Bundesarbeitsgerichts vorsaß. Doch darum geht es gar nicht. »Hier soll Zeit gewonnen werden«, meint IG-Metallerin Jahn. Im Herbst zunächst ein Gütetermin (»bei dem natürlich nichts herauskommen kann«), dann vielleicht Anfang nächsten Jahres die Verhandlung. In einem Jahr womöglich die Berufungsverhandlung, und je nachdem, ob das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Revision beim BAG zuläßt, wäre dann Schluß oder nicht. Währenddessen warten die Gekündigten auf ihre Abfindungen. Es sei denn, sie ziehen ihre Kündigungsschutzklagen zurück und verzichten auf einen Großteil ihrer Ansprüche. 60 Prozent sofort – das sei den Leuten signali­siert worden, so die Gewerkschaftssekretärin. »Es geht darum, die Leute mürbe zu machen«, bekräftigt Gabriele Hackbarth, Gesamtbetriebsratsvorsitzende, gegenüber junge Welt. »Da ist regelrechtes Mobbing im Spiel.«

Immerhin: Ein Antrag auf finanzielle Förderung der Produktionsansiedlung in Wittenberge wurde bislang von der SPD-Linke-Landesregierung nicht bewilligt. Noch vor einem halben Jahr hatte Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Die Linke) das Ansinnen von FP als »förderwürdig« bezeichnet. Mittlerweile ist der öffentliche Druck jedoch so groß, daß alle im Landtag vertretenen Parteien dagegen sind.