28. März 2008

Im Elbsandstein wandern, März 2008

Es ist keine schlechte Idee, über Ostern ans Mittelmeer zu flüchten, wo die Luft noch kalt, aber die Sonne schon warm ist, doch in diesem Jahr hatte ich etwas besseres vor.


Britta fuhr mit dem Kleinen zu ihren Eltern. Ich hatte ein paar Sonntagsdienste abzufeiern und wollte die Tage im Elbsandsteingebirge wandern - eine Sache, die ich seit Jahren vorhatte, aber aus der bislang nichts geworden war.

Am Dienstag morgen fuhren wir alle drei zum Hauptbahnhof. Die Busse fuhren wieder, da die größte Gewerkschaft der Welt nach anderthalb Wochen Streik mit ihrem Latein am Ende und der »rot-rote« Senat um einiges bockbeiniger geblieben war, als die Kollegen Funktionäre in der Berliner ver.di-Zentrale sich das hatten träumen lassen.

Ich setzte Frau und Kind in den ICE nach Stuttgart und mich selbst eine dreiviertel Stunde später in den Eurocity Richtung Budapest, allerdings hatte ich nur ein Ticket bis Bad Schandau gelöst. Man reist angenehm mit diesem Zug, er ist bequem wie ein alter Interregio, aber nicht overdesigned wie der ICE, er hält nicht allzuoft - wenn ich es richtig erinnere, nach Berlin-Hauptbahnhof nochmal am Berliner Südkreuz, dann wieder in Dresden-Neustadt, Dresden-Hauptbahnhof und dann eben, Bad Schandau. Weil er so weit fährt, findet sich hier eine ziemlich interessante Passagiersmischung. Ich sah in bunte Tücher gewickelte Balkanzigeunerfamilien, spanische Studenten mit Interrailtickets und schwedische Rentnerinnen, die Dresdner Zwinger und Semperoper besuchen wollten. Man kann im Eurocity aber auch einigermaßen bequem schlafen.

Nach knapp drei Stunden stieg ich in Bad Schandau aus, am linkselbischen Ufer (also von Berlin und Dresden aus gesehen rechts). Es gibt eine Fähre auf die andere Seite, aber da ich keine halbe Stunde warten wollte, marschierte ich los und nahm die Brücke einen halben Kilometer Richtung Nordwesten. Es ging so gegen halb zwei nachmittags.


Aber eigentlich wollte ich ja nach Osten, in den hinteren Teil des Nationalparks, ins Schrammstein- und Affensteingebiet. Ich schleppte meinen Rucksack zweieinhalb Kilometer durch Bad Schandau (die ersten zweieinhalb Kilometer sind die Probe aufs Exempel, und Du stellst jedesmal fest, das Du wieder zuviel eingepackt hast), dann bog ich in die Kirnitzschtalstraße ein. Nach einem weiteren Kilometer bog ich links ab und machte mich an einen steilen Aufstieg, gleichzeitig setzte ein dichtes Schneetreiben ein. Die Angelegenheit bekam einen sportlichen Charakter. Ich nahm meine Wanderstöcke zu Hilfe. Vor meiner Abfahrt hatte ich noch überlegt, ob ich sie überhaupt mitnehmen soll. Man läuft schnell Gefahr, belächelt zu werden, wenn man mit diesen Teleskopdingern unterwegs ist. Die Sachsen benutzen sowas nicht, anders als die Österreicher oder andere Alpenbewohner. Ich kann es nach meinen Erfahrungen aber nur uneingeschränkt empfehlen.

Als ich nach einer halben Stunde oben ankam, um mich herum tanzten die Schneeflocken, bemerkte ich, daß ich einen Wegweiser falsch interpretiert hatte. Hier ging`s nach Sebnitz, und da wollte ich nun wirklich nicht hin. Ich stieg also wieder hinab ins schöne Kirnitzschtal.

Ich kramte in meinen Papieren und rief im Hotel »Lichtenhainer Wasserfälle« an. Das klang ja nicht schlecht.

»Haben Sie noch ein Zimmer frei?«

»Da muß ich nachgucken.« Dämliche Masche. »Also, ich könnte Ihnen da noch unsere sehr gute Kategorie anbieten, mit Dusche und WC auf dem Zimmer, für 75 Euro.«

»Vielleicht wäre ich ja mit Ihrer guten Kategorie ganz zufrieden.«

»Da ist leider nichts mehr.«

Na schön.

Später las ich in einer Lokalzeitung, daß das Wirtschaftsministerium des Freistaates den Leuten hier einredete, sie sollten sich auf »den zahlungskräftigen Gast aus den alten Bundesländern« orientieren.

Ich überquerte die Straßenbahnschienen und machte mich an der gegenüberliegenden Seite an den nächsten Aufstieg zum Ostrauer Berg. Hier gings weniger, aber immer noch steil voran, aber nach ein paar Minuten ließ sich die Sonne blicken.


Ich wußte immer noch nicht, wo ich übernachten würde. Ursprünglich hatte ich geplant, an einer der von der Nationalparkverwaltung ausgewiesenen Freiübernachtungsstellen zu »boofen«, wie der Sachse sagt, aber der späte Wintereinbruch hatte mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich hatte zwar eine gute Isomatte, zwei Schlafsäcke zum übereinanderziehen, einen Biwaksack und sogar trockene Wechselsachen zum Schlafen dabei. Aber früh hätte ich in nasse, wahrscheinlich steifgefrorene Klamotten schlüpfen müssen. Nun ja, wenn eine außergewöhnliche Katastrophensituation, sagen wir Flucht vor Tsunami oder Bürgerkrieg so etwas erfordert, macht man das eben. Aber um es mir freiwillig anzutun, fühlte ich mich mittlerweile, bei aller Liebe zu Natur und Outdoorabenteuer, ein bißchen zu alt.

Einen Kilometer weiter (Entfernungsangaben im bergigen Gelände sind nicht sehr aussagekräftig) gelangte ich ins Städtchen Ostrau und fand ganz zufällig eine nette Pension am Wegesrand. Ich quartierte mich, zunächstmal für eine Nacht, hier ein. Der Wirt begüßte mich mit einem östreichischen »Größgott« und bot mir (ich war der einzige Gast) das Zimmer Nr. 5 mit Ausblick aufs Schrammsteintor an.


Ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl, ein Schrank, Dusche und Klo - alles für 25 Euro mit Frühstück. Am nächsten Morgen erklärte ich dem Wirt, daß ich hier meine Basisstation bis Freitag einrichten würde und machte mich, via Falkensteinstraße, auf den Weg ins Schrammsteingebiet.


Es war ein wunderbar klarer Wintertag, die Luft glasig und die Berge nah, mit Neuschnee auf den Feldern - ich hätte es nicht besser treffen können.


Nach anderthalb Kilometern bog ich von der Straße ab und ging weiter auf dem Malerweg. Den Namen haben sie sich wahrscheinlich im Tourismusministerium ausgedacht, und er spielt darauf an, daß einige romantische Maler hier unterwegs waren, die von den bizarren Felsformationen ähnlich fasziniert waren, wie wir heute.


Nach traditioneller Bezeichnung war es der Untere oder Obere Liebenweg, allerdings sah er in der Tat malerisch aus.


Dieses ganze In-der-Natur-Herumwandern als Selbstzweck gibt es ja noch nicht so lange, das kam alles erst im 18./19. Jahrhundert auf. Hier in der Sächsischen Schweiz kann man es gut an den Erstbesteigungsdaten erkennen - wobei die Felskletterei noch etwas jüngeren Datums ist.


Ich lief weiter, der Weg führte zwischen Falkenstein und Hohem Torstein hindurch ...


... und zur Mittagszeit gelangte ich an die Schrammsteinbaude. Ich bestellte ein Bier und Szegediner Gulasch mit angeblich hausgemachten Knödeln. Ich will über dieses Haus und seine Küche nichts schlechtes sagen, aber auf der anderen Seite der Grenze ißt man definitiv besser.


Danach marschierte ich weiter und nahm Kurs auf die Schrammsteinaussicht, die, soweit ich mich erinnere, irgendwo zwischen »Schwager«, »Neffe«, »Onkel« und »Schrammsteinwächer« liegt ...


... so auf 413 Metern, was ja nicht hoch ist, aber es geht doch ziemlich steil bergan.


Stückweise geht`s über Eisenleitern, manchmal liegt ein umgestürzter Baum quer. Ich kletterte über den »Wildschützensteig«, irgendwann sah ich ein Warnschild »Kein Abstieg!«.


Ein paar Minuten später war ich oben.


 


Das Phantastische an diesen Aussichten, von denen ich noch zwei, drei weitere an diesem und dem nächsten Tag genießen konnte, ist, daß man sie sich richtig hart erarbeiten muß. Ein Gebirge ist das hier im geologischen Sinne zwar strenggenommen nicht, sondern ein ausgetrocknetes Flußbett bzw. Meer (man sieht es, wenn man es weiß), aber diese Drei-, Vierhunderter haben es in sich, denn sie sind verdammt steil.


Nach dem Abstieg wanderte ich steten Schrittes weiter Richtung Beuthenfall ...

 



 ... von wo mich die entzückende Kirnitzschtalbahn zurück zum Fuße des Ostrauer Bergs brachte – eine Straßenbahn, Baujahr 1898, andernorts würden sie daraus einen Touristennepp machen und fünf Euro fürs Ticket verlangen. Ich hoffe, daß das jetzt keiner von den smarten Referenten aus dem sächsischen Wirtschaftsministerium liest.


In meiner Pension angekommen zog ich Stiefel und Klamotten aus, stellte mich eine halbe Stunde unter die heiße Dusche und fiel danach, wunderbar fertig, mit einer Flasche Tempranillo Gran Reserva und einem guten Buch (Nachrichten aus einem unbekannten Universum von Frank Schätzing) ins Bett. Müde vom Wandern an frischer Bergluft zu sein, ein Dach überm Kopf in einer trockenen, warmen Kammer mit einem bequemen Bett zu haben und dann das Einschlafen noch ein bißchen hinauszuzögern, weil man keine Verpflichtungen hat und alles machen kann, wie man will. Das nenne ich echten Luxus.


Am nächsten Morgen frühstückte ich wieder allein. Es war alles bescheiden, aber es fehlte an nichts, die Wirtsleute (zwei Männer, der Österreicher und ein Hesse, glaube ich) hielten sich im Hintergrund, aber wenn man noch ein Brötchen haben wollte, kam gleich der Österreicher mit einem Körbchen an und meinte: »Ach, nehmen`s doch zwei.«

Ich nahm noch zwei, steckte sie in meinen Rucksack, und marschierte los, wieder durchs Schrammsteintor, diesmal aber Richtung Dom, Affenwand und Wilde Hölle.





 Auf der Domkanzel (es kann auch der Domerker gewesen sein)  machte ich eine Pause, die verschneiten Stiegen hatten es in sich. Hier hieß es guten Tritt bewahren. Wer hier ins Rutschen käme, dem könnte man nur noch guten Flug wünschen.




Dann wandte ich mich Richtung Schmilka, vorher stieg ich aber noch zum Großen Winterberg auf, der mit 556 Metern schon einer der höchsten Gipfel der Sächsischen Schweiz ist.


Hätte mir das Wetter nicht diesen plötzlichen Schneefall beschert, wüßte ich bis heute nicht, warum dieser abgeschliffene Vulkan Winterberg heißt.



Oben im Gipfelrestaurant bekam ich für fünf, sechs Euro einen vorzüglichen Linseneintopf mit Rauchfleisch. Beim Abstieg, wenig unterhalb des Gipfels, machte ich einen kleinen Abstecher zur Kipphornaussicht, von der man einen bemerkenswerten Blick ins Elbtal hat.






Hundert Meter tiefer wurde die Schneedecke merklich dünner, und als die ersten Häuser von Schmilka durch die noch kahlen Buchen zu erkennen waren, gab es kein weißes Fleckchen mehr.



In Schmilka stieg ich auf die Fähre und fuhr vom anderen Elbufer mit der S-Bahn nach Bad Schandau zurück.




Am nächsten Morgen mußte ich mich auch schon wieder auf die Heimreise machen. Es war ein wunderschöner Frühlingstag, der erste überhaupt in diesem Jahr. Die Luft war lau, die Wellen glitzerten in der Sonne, als ich über den Fluß setzte. Der Eurocity aus Budapest fuhr in den Bahnhof ein.



***



Ostrau - Beuthenfall, Elbsandstein, Saxony at EveryTrail


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Ostrau - Schmilka, Elbsandstein, Saxony at EveryTrail


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